Velo essen und trinken: Prost Mahlzeit!

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Viola´s Hofladen“ am Rande von Fischbach bei Arnsdorf in Sachsen ist ein guter Startpunkt, um über Velokulinarik und Genuss zu sprechen.

Familie Robert verkauft dort jeden Dienstag und Samstag am Nachmittag Milch, Wurst, Schweine- und Rindfleisch – frisch, gerollt, geräuchert oder gepökelt. Außerdem: Honig, Eier und Nudeln. „Brühe gibt’s draußen!“, wenn am Vortag geschlachtet wurde. Am Wochenende beginnt der Verkauf dort Punkt zwölf. Das ist eine gute Zeit für alle, die ausschlafen und trotzdem pünktlich mit dem Rad am Hof sein wollen. Ein Rucksack reicht oder eine solide Fahrradtasche – für ein kurzes Gespräch am Tresen sowieso. Für die Wurstbrühe sind dicht schließende Behälter besser geeignet oder – beim Monatseinkauf für Freunde und Freunde von Freunden, die es selbst noch nicht bis nach Fischbach schaffen – ein Lastenrad.

Wer sich bewegt, sollte gut essen und trinken! Oder: Wer gut isst und trinkt, sollte sich gut bewegen. Deshalb sind Orte wie „Viola‘s Hofladen“ heute so wichtig für den Siegeszug der Velokulinaristik. Denn, das ist unsere Behauptung, die nächste große grüne Welle heißt: Velo essen und trinken.

Wo bislang Flaschenhalter am Fahrradrahmen die einzigen Verbindungen waren zwischen Zweirad- und Getränkewirtschaft, werden Küchen- und Fahrradkultur zusammen wachsen. Potentielle Ziele und Quellen gibt es so viele wie alltägliche Genussmittel: private Landwirte und Jägerinnen, Gärtnereien, Imker, Hofläden, Winzerinnen, Kneipen und Biergärten. Dorthin geht die Reise!

Essen und trinken wollen wir alle. Aber, wer nimmt sich die Zeit, sich selbst und die seinen regelmäßig velo zu ernähren?

Ist unser Land schon in Bewegung geraten? Allerorten sprechen wir über Essen, mit und ohne Beigeschmack oder Pferdestärken. Manch einer will einfach nur satt werden, andere addieren routiniert liebgewonnene Zusatzfunktionen: Inzwischen essen wir probiotisch fair, gluten- und laktosefrei regional, artgerecht vegan, freilaufend glücklich oder einfach slow und kaltgeschleudert, ganz nach Belieben. Und auch genießen lernen wir dabei – neu, natürlich und gemütlich.

So steht es frisch gedruckt in jeder gutsortierten „Landlust“. Die gibt‘s in jeder Bahnhofsbuchhandlung, aber nicht beim nächsten Fahrradhändler. Warum eigentlich nicht? Fährt die neue Begeisterung fürs Landleben mit der Eisenbahn?

Verkehr, Energie und Ernährung – die meisten wünschenswerten Wenden hängen eng zusammen. „Recht bewusstlos setzen wir voraus, dass LKW täglich unsere Supermärkte auffüllen“, meint Norbert Rost, Regionalwirtschaftsberater aus Dresden. Nicht selten würde mehr Energie in die Verpackung und den Transport investiert, als letztlich in der Nahrung steckt. Norbert Rost: „In einer Zukunft weiter steigender Ölpreise profitieren wir selbst: Indem wir in unserem Umfeld kleine Betriebe erhalten, die künftig wichtig für unsere Versorgung aus der Region sein werden.“

Derweil dringen Kaffeefahrräder heute an Orte vor, die nie zuvor ein Espresso-Automat gesehen hat. Neuerdings setzen sich Pizzalieferanten auf Pedelecs statt in Kleinwagen und auf Mopeds. Und Hobbylobbyisten behaupten, nur echter Velohonig sei extra gesund, denn nur der wird mit Muskelkraft bewegt.

Bald werden Bio-Orangen in Kisten aus Spanien mit dem Lastenrad geliefert. Die sind dann auch mehr oder weniger velo, zumindest auf den letzten Metern. Aber überraschen sollte uns die sich abzeichnende Massenbewegung nicht. Eine Prise Euphorie ist angebracht, wenn nach dieser Reflektor-Ausgabe auch die Marketingabteilungen der großen Handelsketten velo als Label für sich und uns entdecken werden. Sollen sie doch!

Bitte überlegen Sie nun genau: Brot, Gemüse, Eier, Honig, Wurst und Wein – welche Nahrungsmittel können Sie am Ort ihrer Herstellung gut mit dem Fahrrad erreichen?

„Wir brauchen eine Vision der Stadt, die eine Stadt der kurzen Wege ist, die zu Fuß und auf dem Fahrrad bewältigt werden können“, behaupten nicht nur Minister auf ADFC-Bundeshauptversammlungen. Aber, ist das schon die ganze Wahrheit?

Länge und Kürze eines Weges sind nicht das wichtigste. Entscheidend ist doch, wie lange wir, die wir noch Radfahren können, ohne fremde Hilfe zu „Viola´s Hofladen“ finden.

Reflektor Magazin Frühling 2014Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass es selbst in der Pressebilderwelt des ADFC nur wenige Motive gibt, die Fahrspaß mit kulinarischem Genuss verbinden. Menschen fahren dort Rad durch schöne Gegenden – zu zweit, mit Familie, mit Helm oder ohne, urban, sportiv und gemütlich. Sie tragen Fahrradflaschen, -taschen und anderes modisches Zeug. Und sie schlafen mit ihren Rädern in ausgesucht velofreundlichen Betten.

Was fehlt? Alltäglicher Genuss mit zwei Rädern: Brot, Gemüse, Eier, Honig, Wurst und Wein – solides Handwerk von um die Ecke.

Der Hunger treibt‘s rein? Der Hunger treibt uns raus! Velo essen und trinken ist vor allem eine Frage des persönlichen Gleichgewichts. Und vor dem Sonnenuntergang einen frischen Broiler, zwölf Eier und ein paar Honiggläser zu sammeln, ist keine große Kunst.

Für heute halten wir fest: Velo schmeckt. Und „Viola´s Hofladen“ ist überall.

Der Text ist im Frühling 2014 im Reflektor Archiv erschienen: PDF, Wikidata-Item des Artikels: Q63824537.

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