Tourenbücher für Radfahrer hatten – in Zeiten ohne OpenStreetMap, Apps und GPS – im Leben draußen und auf dem Fahrrad ein echten Nutzwert: Streckenverläufe, Entfernungstabellen, Tipps zu Land- und Leuten, Anzeigen von Hotels, Gasthäusern (Bierbar und Krüge im Tourenbuch für Estland!), Fahrrad- und Trikothändlern. Schon diese Vielfalt ist beeindruckend.
Aber, wer waren diese Typen, die Touren-, wanderbücher und Wegweiser für Radfahrer schrieben und/oder deren Erscheinen organisierten? Allesamt Radfahrer und Reisende aus Leidenschaft, Pioniere, Funktionäre, Bürgerliche. Die rasante Entwicklung des Fahrrades in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war in erster Linie eine (ingenieur?)-technische Leistung und später eine des Lobbiismus für „gute Straßen“, wie Charlton Reid in seinem Buch Roads were not build for cars für Großbritannien und die USA zeigt. Aber – und das ist hier die These – der Erfolg des Fahrrades war auch eine literarische Entwicklung, die von Autoren (und auch Autorinnen?) angefeuert wurde, die die Landschaften und Wege außerhalb der Städte – zuerst für die Bürgerlichen, dann für große Teile der Arbeiterschaft und die Arbeiterbewegung – vermaßen, beschrieben und damit sicht- und lesbar machten. Tourenbücher müssten damals verlegerisch ein gutes Geschäft gewesen sein, schauen wir und die vorliegende Vielfalt an. Wer waren diese Fahrrad fahrenden Tausendsassa (vgl. Blog des ABC)?
Einige Beispiele:
- Gregers Nissen: Vorsitzender des ältesten deutschen Radsportvereins, des Altonaer Bicycle-Club von 1869/80, Lehrer, Verbandsfunktionär, Organist – eine ausführliche Biografie gibts im Knochenschüttler 1/2011 von Renate Franz (GND,)
- Theophil Weber: Schweizer Leipziger, Kaufmann und Verleger, Chefredakteur des Stahlrad, Gründer des Sächsischen Radfahrerbundes
- Paul Hildebrand: Münchner Verleger seiner eigenen Rad-Reisebuchreihe bayerischer Städteverbindungen
- Josef Kolb: Reisender und Autor des Radfahrer-Tourenbuchs für Siebenbürgen
- Bernhard Böhm: Autor der Touren- und Wanderbücher des Sächsischen Radfahrerbundes (1910, 1902, 1901, 1899)
- Werner Kort: Autor der Fernradreise-Reihe ‚Peregrinus auf grosser Fahrt‘ (Von Hameln bis Konstantinopel) (GND)
- Robert Mittelbach: Topograph, Kartograph und Verleger in Radebeul/ Kötzschenbroda (GND)
Diese Männer – und zeitgleich viele andere – haben vor 120 Jahren im deutschen Sprachraum die Literaturgattung der Tourenbücher für Radfahrer gestaltet – mit Titeln und für Gegenden, die noch heute für Grenzübertritte und die Reiseplanung genutzt werden können. Auf ihren Spuren lässt sich gut wandern und für die eine oder andere ausführliche Hommage dieser Persönlichkeiten ist noch mehr Spurensuche nötig.