Folgende Zeilen entstanden mit DUO STELLA JUHO im Ohr: Klassiker der 90er – vermutlich auch, um den Umsatz an der Bar der Finnlady zu fördern.
Das digitalisierte Touren-Buch von Estland (1897) ist nicht der einzige Grund für eine Radreise ebendort, aber ein guter Anlass. Das Büchlein enthält die Hauptrouten der deutschen Radfahrer, aber auch estnische Städtenamen neben den alten deutschen, kleine Ortsbeschreibungen, wichtige Reiseinfos: Werkstätten, Schmiede, Eisenbahnzeiten, ggf. örtliche Vertreter der Allgemeinen Radfahrer-Union, Entfernungsangaben und einen gigantischen Anzeigenteil am Ende, in dem die Wirtschaftskraft der Balten in Riga und Reval um 1900 deutlich wird.
Schon in der Regionalbahn nach Lübeck fällt auf: Die estnischen Inseln Saaremaa und Hiiumaa waren 1897 offenbar noch keine relevanten Radreiseziele. Gab es damals bereits Fährverbindungen zum Festland? Hätte es überhaupt insulare Gründe und damit touristische Ziel gegeben für regelmäßige Überfahrten (für Radfahrer)? Dazu die Frage:
Wie wäre ich 1898 nach Reval gekommen, wenn ich gelebt und vom Touren-Buch von Estland erfahren hätte? Das wäre nicht völlig unmöglich gewesen, denn die Radfahrer-Zeitungen meldeten damals Neuerscheinungen für andere Gegenden, die für die Leserschaft im Erscheinungsgebiet erreichbar waren. Und dann noch: Das Verzeichnis der Touren im estnischen Tourenbuch endet mit einem Klischee des Dresdner Illustrators Gustav Bauer, der seinerzeit (z.B. 1899 in Draisena) seinen Katalog mit 1000 Clichés der Fahrradbranche offerierte.
Die beiden Inseln sind heute trotzdem interessant. Und Naval an der russischen Grenze war 1897 zwar Ziel einer Hauptroute von Reval – bzw. Startpunkt der Anschlusstour nach St. Petersburg. Mein historischer Reiseführer von 2013 deutet aber an, dass die Landschaft im estnischen Nordosten reizvoll sei, inzwischen aber durchsetzt mit Industrieanlagen und Altlasten. Licht und Schatten liegen dort wohl nahe beieinander. Mein Entschluss: Die Reise führt zuerst nach Westen, von den Inseln zurück an die Westküste und durchs Land, vielleicht bis nach Tartu. Die Universitätsstadt hat zwar eine Unibibliothek. Aber deren deutsche Radfahrerquellen sind 2018 leider nicht zugänglich – auch weitere Digitalisierungsaufträge via EOD wurden bereits auf 2019 vertagt. Und daraus folgt die Frage: Welche estnischen Stadtarchive und -bibliotheken besitzen auch noch deutschsprachige Quellen mit estnischem Radfahrerwissen?
Die deutschen Radfahrer in Estland dürften also um 1896, als das Touren-Buch im Selbstverlag entstand, bereits direkt oder indirekt Kontakt zu Gustav Bauer gehabt haben. Nicht zuletzt, weil eine Anzeige in der Beilage auch eine von Gustav Bauer signierte Illustration enthält. Oder anders gefragt: Welche deutschen Radfahrer-Zeitungen wurden in Reval gelesen, in u.U. denen Gustav Bauer in den 1890ern veröffentlichte?
In der „Beilage z. Tou. v. Estl.“ illustrierte #GustavBauer ein Inserat von Estlands grösstem Fahrrad-Geschäft. Mechanische Werkstatt ¤ mit Motorbetrieb : Fr. Nicolai REVAL Lehmstrasse ~ Filiale in Narva, Burgstr. | eine Illustration, kein einfaches #velocliché! 1897 #Tallinn
— radfahrerwissen (@radfahrerwissen) 24. Juli 2018