Jede Idee von Europa und die Spekulationen, Überlegungen und Gespräche darüber sind allesamt Raumaneignungsstrategien.
In dem grandiosen Buch Spekulationen Transformationen taucht der Begriff Raumaneignungsstrategie auch auf und ist mein Anker einiger Zeilen für den #Salon Europaa. Diese Blogparade ist ja im Grunde nichts anderes: Lautes und leises Nachdenken über Europa, raumgreifend im Idealfall, erst recht wenn wir uns irgendwann treffen, um irgendwo miteinander zu reden. Raumgreifend aber auch, wenn es gelingt, Begriffe zu prägen und so bekannt zu machen, dass sie sich verselbständigen können. Eine kleine Plauderei – diese und jene Ideen, Gedankenfetzen und Zusammenhänge sind ja längst da – bei einem Europaabend in diesem Salon darf ich das vermutlich:
Mit Europahonig ist mir das noch nicht gelungen: „Velohonig wird mit Muskelkraft bewegt und reift unterwegs zum Narrativ.“ Europahonig sei dann Velohonig aus dem Nachbarland, lautet meine eigene Definition. Die ist natürlich angreifbar (bzw. dürfen Imker- und Honighändlerinnen, die andere Fahrzeuge nutzen, den Begriff Europahonig selbstverständlich auch verwenden). Ausgangspunkt war der Gedanke, den anerkannt echten „Echten Deutschen Honig“ um Nuancen zu bereichern. Denn trivial ist diese Feststellung: Honig von echten deutschen Bienen, Imkerinnen und Imkern sei zugleich europäischer Honig. Doch: „Honig aus EU- und Nicht-EU-Ländern“ könnte so auch vom Mond kommen, theoretisch. Ich nenne die bunten überregionalen Honigregale im nächsten Laden deshalb gern Honigtapete … „Lunares Imkern ist ja stark im Kommen, nicht?“, fragt übermorgen bestimmt ein junggebliebener alter weißer Mann – mglw. mit wissendem Lächeln – beim ersten Vorstellungsgespräch die übernächste Kandidatin (eine Raumaneignung abermals, hier rhethorisch) … Wir sehen: es geht um geteilte Begriffe – auch um unsere Begriffe von und in lebenswerten Räumen. Die trifft man nicht nur beim Imkern; überall in Europa. Und es geht um Grenzen des Sag- und Wünschbaren. Die gibt es immer weniger und wir sollten uns dessen bewusst sein. Bei Võhma auf der Insel Saaremaa gibt es jetzt ein Velohonig-Schild. Ob und wann es dort an die Landstraße gehängt wird, muss ich noch rausfinden.
Europa ist in erster Linie praktisch und dann wird es schnell emotional. Selbst forsche ich ausgehend vom Lausitzer Radfahrer-Bund zu regionalem Radfahrerwissen um 1900 und behaupte, dass die Fragen, die mir die Oberlausitz dabei stellt, in vielen anderen Gegenden Europas so ähnlich funktionieren und wiederum zu neuen Forschungsfragen führen können. Europa ist für mich deshalb ein großes Puzzle aus regionalem Radfahrerwissen (Bücher, Fotos, Zeitungsartikel, Hersteller, …, Bierbuden und Bundeseinkehrstellen), dem ich mich inzwischen gern bediene. Im Sommer 2018 fuhr ich wegen eines historischen Tourenbuchs durch Estland und möchte da bald wieder hin. Das war gut, für mein Europa. Denn es ist doch so: „Allein die Vorstellung, morgen käme jemand aus Griechenland, Slowenien oder Lettland gefahren, um den Lausitzer Radfahrer-Bund ein paar Tage vor Ort und mit dem Rad genauer zu erforschen, spricht hier für diese unwahrscheinliche Europäische Idee.“ Verlässlich öffentliches WLAN hilft dabei, und Eduroam.
Dieses Europa der Regionen und mein Europa regionalisierter Forschungsfragen bieten endlich unendlich Platz, um sich einen eigenen Kopf zu machen und andere Köpfe kennen zu lernen. Man erkenne darin liebend gern Raumaneignung! Auch in den neuen Interrail-Tickets für umme. Als wir mit 16 – ohne unsere Eltern – in Inverness zelten, saß ich abend mit einem deutschen Pärchen zusammen. Er war Metreologe und argumentierte glaubhaft, dass wir nicht nur bessere Zelte bräuchten, sondern mehr als die eine grobe Autokarte von Schottland, die ich gekauft hatte. Die Zirkusvorstellung neben dem Zeltplatz ist noch immer einer schöne Erinnerung. Wir sprachen 1994 aber auch darüber, dass viel mehr junge Leute durch Europa reisen müssten. Ich entgegnete damals „Solch ein Angebot für alle würde ohnehin nur diejenigen erreichen, die bereits aktiv sind“, meine ich mich zu erinnern. Mein Fazit heute: dolle Sache das!
Es gibt eine dritte Frage, die diese Blogparade wieder in mir wachruft; und die ist über meine Person hinaus eher zufällig mit Schottland verbunden: Seit wann tragen Männer in Sachsen Hosen? Und: Trugen sie (oder Sie) jemals Rock?
Beide Fragen stelle ich hiermit für alle Regionen Europas zur Debatte und bin gespannt auf ein paar neue Antworten. Ich trage selbst am liebsten einen Kilt aus Schweden, auch beim Radfahren in Estland. (Sie kaufen einen solchen übrigens in Deutschland per Post viel günstiger als beim Blåkläder-Händler in Helsinki.) Just saying. +1: Nach Schottland will ich auch mal wieder. Auf Skye trank ich meinen ersten Kaffee, morgens nach einer verregneten Nacht in einem dünnen Zelt. Die Zeltplatzchefin hatte Erbarmen und bot mir einen an. Ein guter Kaffee wäre gut, im SalonEuropa!
Was vorher geschah:
Aus drei Gedanken möchte ich nach und nach meinen Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa des Museums Burg Posterstein stricken:
1.
Wunderbar. Mich beschäftigt als Kiltträger die Frage, wo und wann Männer begannen (oder aufhörten) Hosen zu tragen bzw. Röcke. #SalonEuropa ist für diese Fragen ein schöner Rahmen. Vielleicht wird das ja mein Beitrag: zusammen mit #Europahonig und #Radfahrerwissen. 😉
— Jens Bemme (@jeb_140) 8. Oktober 2018
2. (wurde offenbar schon registriert)
Europa ist für mich: Ein großes Puzzle aus regionalem #Radfahrerwissen. https://t.co/T9nIQrFt7W
— Jens Bemme (@jeb_140) 3. Oktober 2018
3.
Mit anderen Worten:#Velohonig ist eine Raumaneignungsstrategie. #Europahonig auch. https://t.co/EmzWgqLqDK
— Velohonig (@Velohonig) 5. August 2016
Hallo Jens,
Kilt, Räder und Honig, das klingt nach einer ganz interessanten Europa-Mischung!! Ich bin gespannt, was du daraus machen wirst!
Viele liebe Grüsse,
Marlene
Lieber Jens,
da schließe ich mich Marlene an – ein work-in-progress-Blogpost. Bin neugierig, was daraus wird.
nebelige Grüße aus München
Tanja
Lieber Jens,
vielen Dank für diesen spannenden Beitrag zum #SalonEuropa! Ich musste beim Lesen immer wieder lächeln und tatsächlich werde ich mich wohl mit deiner Kilt-Frage beschäftigen müssen. Leider ist mir nur noch im Gedächtnis, dass Caesar einst im „De Bello Gallico“ (4. Buch, Kapitel 1) über die Sueben schrieb, dass sie sich in Felle hüllten und in Flüssen wuschen… nun handelt es sich dabei nicht um die Sachsen und von Röcken war wohl auch nicht die Rede, aber ich werde deinen Forschungsergebnissen sicherlich mit Spannung folgen. Vielleicht wird dann ein großes europäisches Puzzlestück zu neuen Ideen anregen!
Vielen Dank für den wunderbaren Beitrag!
Herzliche Grüße aus Posterstein
Franziska